Die Schmerzensgeldbemessung im Personenschadensrecht stellt Patientenanwälte und Opferanwälte seit langem nicht mehr zufrieden. Die meisten Gerichte richten sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ganz lapidar nach Schmerzensgeldtabellen, die seit Jahrzehnten in dicken Büchern zusammengestellt werden. Wenn man als Geschädigter Glück hat, werden nicht nur mehr als 20 Jahre alte Gerichtsentscheidungen zu Rate gezogen. Mit ganz viel Glück werden die alten Entscheidungen der Geldentwertung angepasst (Indexanpassung) und es wird berücksichtigt, dass heutzutage höhere Schmerzensgelder zugesprochen werden. Trotzdem bleibt das Problem, dass die Fälle aus den Schmerzensgeldtabellen meistens nur in ganz geringem Maße mit dem Fall vergleichbar sind, um den es tatsächlich geht.
Das OLG hat die Berechnung des Schmerzensgeldes nach den innovativen Kriterien des „Handbuchs Schmerzensgeld“ von H. P. Schwintowski, C. und M. Schah Sedi vorgenommen.
Das OLG Frankfurt hält zu Recht einen Vergleich mit anderen Gerichtsentscheidungen für unzureichend. Die Erfahrungen Gerichts zeigten, dass die Schmerzensgeldbemessung extrem von der persönlichen Situation des einzelnen Richters und auch besonders von dem Gerichtsbezirk abhängt.
Die Autoren des von dem Gericht zu Rate gezogenen „Handbuchs Schmerzensgeld“ favorisieren eine taggenaue Schmerzensgeldbemessung unter Zugrundelegung eines Prozentsatzes des (durchschnittlichen) Bruttonationaleinkommens (2.670,16 Euro).
Insbesondere bei Dauerschäden bringt die neue Berechnungsweise an den Tag, wie günstig schwerste Körperschäden abverkauft werden. Berechnet man nach der statistischen Lebenserwartung einer etwa zwanzig Jahre alten Geschädigten mit einer inkompletten Querschnittlähmung aufgrund eines Verkehrsunfalls oder Behandlungsfehlers den wahren Wert des Schmerzensgeldbetrages, dann zeigt sich der springende Punkt: Nehmen wir an, dass die Geschädigte zum Ausgleich für diese schwerwiegende Schädigung und die damit verbundenen enormen Lebensbeeinträchtigungen von einem Gericht einen Schmerzensgeldbetrag von 150.000,- Euro zugesprochen bekommen hat. Dieser Betrag klingt hoch, man kann ihn aber auf den Tag umrechnen.
Statistisch verbleiben dem Opfer nach der Sterbetabelle noch etwa 63,6 Jahre. Das sind 763 Monate oder 23.214 Tage. Der Schmerzensgeldbetrag von 150.000,- Euro ergibt pro Tag eine Entschädigung in Höhe von 6,46 Euro. Diesen Betrag kann man wohl kaum als ernsthaften Ausgleich dafür ansehen, dass die Geschädigte aufgrund der Querschnittlähmung den Beruf verloren hat und ab einer Strecke von 15 Metern einen Rollstuhl oder Rollator verwenden muss; außerdem den Lebensgefährten und ihre Lebensfreude verloren hat, weil sie neben ihren anderen Pein auch den Kinderwunsch nicht mehr realisieren kann.
Berechnet man innovativ nach dem Bruttonationaleinkommen dann ergibt sich bei taggenauer Berechnung ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 186,91 Euro (= 7 % des Bruttonationaleinkommens), also bis zum statistischen Lebensende 4.338.928,- Euro. Die Höhe des Tagessatzes wird bei Dauerschäden durch den Grad der Schädigungsfolgen, der in der Versorgungsmedizinverordnung für inkomplette Querschnittlähmung 80 bis 100 Prozent beträgt. Rechnet man mir 80 Prozent, so ergeben sich 3.471.142,- Euro. Das ist das 23fache. Bei Anwendung der neuen Berechnungsmethode bekommen jüngere Schwerstgeschädigte mit Dauerschaden sehr, sehr viel mehr Schmerzensgeld als ältere Geschädigte, da sie ja auch viel, viel länger unter den Beeinträchtigungen leiden. Es handelt sich um eine insgesamt sehr interessante Sentenz. Besonders der Grundgedanke der taggenauen Berechnung zeigt anschaulich, wie wenig Schmerzensgeld Geschädigte momentan erhalten. Viele Juristen werden den Betrag für übersetzt halten. Aber schon bei einem täglichen Ersatz von 30,- Euro, der ja nun kaum überzogen ist, wenn man sich einmal selbst in die Verletzungsfolgen hineindenkt, ergibt sich aufgrund des jungen Alters des Opfers ein Gesamtbetrag von 696.420,- Dass 30,- Euro pro Tag kein wirklich sehr hoher Betrag ist, ergibt sich am Beispiel eines 54-jährigen Mannes, der statistisch noch 26,59 Jahre, also 9.705 Tage zu leben hat, lediglich eine Gesamtentschädigung in Höhe von: 291.160,- Euro.