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Schmerzensgeld für rechtswidrige polizeiliche Freiheitsentziehung

PM schmerzensgeld.info vom 02.12.2009 - Beschluss Bundesverfassungsgericht vom 11.11.2009


Das Bundesverfassungsgericht hebt in seinem Beschluss vom 11.11.2009 die Entscheidungen des Landgerichts Lüneburg (Urteil vom 19.03.2008 - 2 O 230/04) und des Oberlandesgerichts Celle (Urteil vom 16.09.2008 - 16 U 36/08) auf. Die Entscheidungen verstoßen gegen die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes.

Zum Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer wollten am 13.11.2001 eine Demonstration anlässlich eines vorgesehenen Castortransports in das Zwischenlager Gorleben beobachten. 50 Meter rechts und links von der entspr. Bahnstrecke war ein Demonstrationsverbot verhängt. Die Beschwerdeführer wurden von der Bundespolizei aufgegriffen und in Gewahrsam genommen als sich diese in einer Entfernung von 3 km von den Bahnschienen in ihrem Auto saßen. Zunächst wurden die Beschwerdeführer um 7:10 Uhr zusammen mit weiteren 70 Bürgern auf einem Feld festgehalten. Sanitäre Anlagen bestanden dabei nicht. Seine Notdurft musste man in einem angrenzenden Waldstück verrichten.

Um 11:00 Uhr wurden die Beschwerdeführer und die anderen festgehaltenen Personen in einen Gefangenenbus (z.T. in Einzelzellen) verbracht. Gegen 13:15 Uhr wurden die Betroffenen in eine sog. Gefangenensammelstelle gebracht. Dies zu einem Zeitpunkt als der Castortransport die fragliche Stelle bereits passiert hatte. Ab 17:20 Uhr wurden die Beschwerdeführer wieder entlassen.

Prozessverlauf vor den Instanzgerichten:

Die Beschwerdeführer beantragten zunächst vor dem Amtsgericht Uelzen, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festzustellen. Ferner beantragten die Beschwerdeführer wegen der erlittenen rechtswidrigen Freiheitsentziehung vor dem Landgericht Lüneburg - im Rahmen von Amtshaftungsklagen gegen das Land Niedersachsen und die Bundesrepublik Deutschland - die Zahlung einer Geldentschädigung von 2.000,- EUR bzw. 500,- EUR.

Das Amtsgericht Uelzen erklärte die Ingewahrsamnahmen der Beschwerdeführer im Jahre 2007 für rechtswidrig. Das Gericht argumentierte wie folgt: Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG a.F.) könnten Personen von der Polizei in Gewahrsam genommen werden, sofern dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Nach dieser Vorschrift sei jedoch auch ein Platzverweis möglich und als milderes Mittel vorzuziehen gewesen, weil keine Anhaltspunkte für gewaltbereites Verhalten der Beschwerdeführer vorlagen. Unabhängig davon wäre gem. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nach Ingewahrsamnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen gewesen. Die ist jedoch nicht erfolgt. Ferner sei die Maßnahme auch deshalb unverhältnismäßig gewesen, weil die Beschwerdeführer länger als erforderlich festgehalten worden seien.

Das Landgericht Lüneburg wies sodann mit Urteil vom 19.03.2008 im Rahmen der geltend gemachten Amtshaftungsansprüche die Klage auf Entschädigung als unbegründet ab. Das Landgericht argumentiert, dass die gem. § 847 BGB a.F (§ 253 BGB n.F.) maßgebliche Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes bereits dadurch erreicht worden sei, dass das Amtsgericht Uelzen die polizeilichen Maßnahmen als rechtswidrig einstuften. Das Landgericht führt weiter aus, dass sogar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Verletzung der Menschenwürde und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht in jedem Fall zu einer Geldentschädigung führen müsse. Diese komme nur dann in Betracht, wenn die Rechtsbeeinträchtigung nicht auf andere Art und weise ausgeglichen werden könne; was im vorliegenden Fall durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit erfolgt sei.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Entscheidung des Landgerichts mit der Berufung. Das Oberlandesgericht Celle (Urteil vom 19.03.2008 - 2 O 230/04) weist die Berufung als unbegründet zurück. Das OLG Celle bestätigt im wesentlichen die Ausführungen des Landgerichts und argumentiert darüber hinaus wie folgt:

"(...) Jedoch müsse bei der nach Billigkeit zu treffenden Entscheidung, ob und in welcher Höhe den Beschwerdeführern ein zusätzlicher Ausgleich in Geld zuzusprechen sei, auch die schwierige Lage der Sicherheitsbehörden berücksichtigt werden, die sich einer nur schwer zu bewältigenden Aufgabe zu stellen gehabt hätten. (...) Da sich die Freiheitsentziehung hier nur über wenige Stunden hingezogen habe und keine nachhaltigen Beeinträchtigungen verursacht habe, reiche unter Berücksichtigung der Situation der Sicherheitsbehörden aus, dass die Beschwerdeführer durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme einen Ausgleich ihres immateriellen Schadens erlangt hätten. (...)"

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

Das Bundesverfassungsgericht hebt die Urteile des Landgerichts und Oberlandesgerichts auf, weil die Erwägungen der Gerichte, die zu einer Versagung einer Geldentschädigung führten, der herausragenden Bedeutung der Grundrechte gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht gerecht werden.

Das Bundesverfassungsgericht stimmt den Gerichten zwar dahingehend zu, dass nicht jede Verletzung immaterieller Persönlichkeitsbestandteile zu einer Geldentschädigung führen müsse, die angegriffenen Entscheidungen hätten dies aber in einer verfassungsrechtlich nicht mehr zulässigen Weise entschieden. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liege darin, dass der sog. Unterbringungsgewahrsam angeordnet wurde, ohne dass die Voraussetzungen dieser Maßnahme auch nur ansatzweise erfüllt gewesen wären. Die Instanzgerichte hätten lediglich den Gewahrsam in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt und die rechtswidrige Freiheitsentziehung zwar erwähnt aber nicht sachhaltig gewichtet und in ihre Entscheidung einbezogen.

Zu beanstanden sind im Rahmen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle insbesondere die Feststellungen, dass eine mindestens zehnstündige Festsetzung der Beschwerdeführer keine nachhaltige Beeinträchtigung wäre. Entscheidend sei hier insbesondere der Abschreckungseffekt dieser Maßnahmen hinsichtlich des zukünftigen Gebrauchs grundgesetzlich garantierter Freiheiten, namentlich das durch art. 8 GG geschützte Recht zur Teilnahme an Demonstrationen. Hierdurch erwachse den vorliegend angegriffenen polizeilichen Maßnahmen ein besonderes Gewicht.

Ferner sei im Rahmen der Beurteilung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion nicht berücksichtigt worden, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit erst etwa 6 Jahre nach dem Vollzug der angegriffenen Maßnahme erfolgt sei und sich die Entscheidung des Amtsgericht Uelzen zudem nicht ausdrücklich mit dem Vollzug der Freiheitsentziehung befasste.

 

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.11.2009 – 1 BvR 2853/08

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