Fallbeschreibung:
Der Kläger sollte per Bauchschnitt am Darm operiert werden. Nach Sedierung wurde ihm am Vorabend mitgeteilt, der Eingriff werde (von einem anderen Operateur) per Laparoskopie durchgeführt. Es kam zu einer Perforation des Darms mit Komplikationen.
Nach dem LG Gießen war eine Aufklärung am Abend vor dem Eingriff über eine andere als die vorbesprochene Operationsmethode (Laparoskopie anstelle von offener OP) zu spät.
Zur freien richterlichen Beweiswürdigung führt das LG Gießen in seinem Hinweisbeschluss vom 16.03.2019 aus:
„Gemäß § 630h Abs. 2 S. 1 BGB hat der Arzt zu beweisen, dass er eine Einwilligung des Patienten gemäß § 630d BGB eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630e BGB aufgeklärt hat. Damit muss der Arzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH „sämtliche Tatsachen beweisen [...], aus denen sich eine wirksame Einwilligung des Patienten in die Vornahme des Eingriffs ergibt“ (BGH r + s 1993, 253, 255). Der Arzt muss also sowohl die hinlängliche Aufklärung des Patienten beweisen wie dessen Einwilligungserklärung bzw. – sollte es an dem einen oder an dem anderen unstreitig oder mangels Beweises fehlen – das Eingreifen jener Ausnahmen, die Aufklärung oder Einwilligung im Einzelfall entbehrlich machen.
Dabei dürfen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an den dem Arzt obliegenden Beweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Tatrichter hat die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann.
Ist einiger Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht, sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist; dies gilt auch mit Rücksicht darauf, dass aus vielerlei verständlichen Gründen Patienten sich im Nachhinein an den genauen Inhalt solcher Gespräche, die für sie etwa vor allem von therapeutischer Bedeutung waren, nicht mehr erinnern. In jedem Fall bedarf es einer verständnisvollen und sorgfältigen Abwägung der tatsächlichen Umstände, für die der Tatrichter einen erheblichen Freiraum hat (vgl. zum Ganzen BGH, Urt. v. 30.9.2014 – VI ZR 443/13, NJW 2015, 74, 75). Seite 3/4
Unter Beachtung dieser Grundsätze dürfte die Aufklärung nicht ordnungsgemäß gewesen sein. Der Kläger hat angegeben, erst am Abend vor dem Eingriff über den laparoskopischen Eingriff aufgeklärt worden zu sein. Seine Frau, die Zeugin [… ], bestätigte dies vom Hörensagen; ebenso, dass vor dem 03.07.2014 immer nur von einer Operation mittels Bauchschnitt die Rede war. Die Angaben des Klägers und der Zeugin waren detailliert und plausibel. Die Beklagten haben, obwohl ihnen die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung obliegt, keinen Beweis angetreten. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bereits vor dem 03.07.2014 vollständig aufgeklärt war, da der Beklagte zu 2) selbst eingeräumt hat, er habe mit dem Kläger am 18.06.2014 „eher nicht“ über die sonstigen Operationsrisiken gesprochen.
Ebenso wenig kann eine hypothetische Einwilligung angenommen werden, da der Kläger plausibel Vorbehalte gegen einen laparoskopischen Eingriff dargelegt hat.
Eine Aufklärung am Abend vor dem Eingriff dürfte, unabhängig davon, ob der Kläger sediert war, nicht ausreichend, da zu spät sein.
Nach § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB muss die Aufklärung so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung wohlüberlegt treffen kann. Um dem Patienten die mit der Aufklärung bezweckte doppelte Nutzen-Risiko-Abwägung bei ausbleibender versus erfolgender Behandlung zu ermöglichen, ist ihm schließlich eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen, die von wenigen Sekunden über die Faustformel einer Aufklärung am Vortag bei stationären Eingriffen bis hin zu mehreren Tagen reichen kann.